Wohliges Gefühl
In meinem früheren Arbeitsleben führte ich in einem Sommer eine Brauereibesichtigung für meine damaligen Leserinnen und Leser durch. Es kamen 600 Personen, die aufgeteilt auf zwei Tage das Feldschlösschen in Rheinfelden besuchten. Ich holte die aus der ganzen Schweiz angereisten fröhlichen Leute am Bahnhof Rheinfelden ab, führte sie zum Sonderzügli und musste genau darauf achten, dass auf dem Weg niemand verloren ging. Oben im Feldschlösschen angekommen, musste ich den 300-köpfigen quirligen Haufen wieder zusammenhalten und möglichst verlustfrei durch das Brauereigelände zum Vortragssaal leiten.
Im Saal stellte ich mich auf der Bühne, hiess die Leute willkommen und dankte ihnen, dass sie meiner beziehungsweise meines Verlegers Einladung gefolgt waren. Unterdessen wurde unten im Saal bereits fleissig Bier ausgeschenkt. Ein paar Hostessen wieselten mit fahrbaren Zapfstellen durch die Reihen der durstigen Menge und schenkten fachlich tadellos aus. Jedes der zarten Tulpengläser trug eine feste Schaumkrone. Ein Genuss für das Auge. Und auch für den Gaumen, wie ich neidisch von der Bühne herab sah, denn die trinkenden Volksmassen machten glückliche Gesichter. Ich platzierte dann noch die üblichen Werbesprüche für meinen Verlag, und sagte, dass das Bier und der Fleischkäse nachher von Ringier offeriert seien.
Nachdem der tosende Applaus verklungen war, übergab ich das Wort irgendeiner paratstehenden wichtigen Person von Feldschlösschen, die sogleich loslegte und die muntere Gesellschaft mit allerlei relevanten Daten informierte. Währenddessen stieg ich von der Bühne hinab, setzte mich erleichtert, aber etwas erschöpft – uff! – an der erstbesten Tisch und rief nach der nächstbesten Hostess. Sie kam sofort herbei und ich bestellte ebenso sofort gleich zwei Stangen aufs Mal, denn die Aufgabe war ja erledigt und ich war die Verantwortung los. Was für eine Wohltat – und was für ein tolles Bier! Offenbar war mein Kopf durch die nicht ganz einfache Aufgabe entleert und also offen geworden für Neues, denn schon nach dem ersten Schluck aus der zweiten Stange stellt sich bei mir ein erlösendes Damenräuschchen ein. Ein wohliges Gefühl durchwallte meinen Körper und ich war selig.
Unterdessen war der Feldschlösschen-Vizedirektor fertig mit seiner Rede und es sprach die Product-Managerin. Man hätte jetzt etwas ganz Neues auf den Markt gebracht, sagte sie. Und wir gehörten zu den ersten, die das probieren dürfen. «Hat es euch geschmeckt?», fragte sie die 300, und die sagten klar Ja. Ich auch. «Nun», sagte die Product-Managerin weiter, «das ist unser neues alkoholfreies Bier, das Schlossgold!» Der Saal raunte «ahaaa!» – und ich war perplex. Ich hatte also kein Damen-, sondern ein Phantomräuschchen. Ein Psychologe erklärte mir später, mein Räuschchen könne man als selbsterfüllende Prophezeiung deuten. Mag ja sein, passiert mir aber nicht mehr.
